Seit Dezember 2021 ist das Muskelzentrum/ALS Clinic formell anerkannte Anlaufstelle für Menschen mit seltenen neuromuskulären Erkrankungen. Das gemeinsame Angebot vom Muskelzentrum/ALS Clinic des Kantonsspitals St.Gallen und dem pädiatrischen Zentrum für neuromuskuläre Erkrankungen des Ostschweizer Kinderspitals wurde im Rahmen eines Pilotprojekts der Nationalen Koordination Seltene Krankheiten (kosek) als Referenzzentrum ausgezeichnet.
Im Muskelzentrum/ALS Clinic engagiert sich ein interprofessionelles Team aus 13 Fachpersonen für Menschen mit neuromuskulären Krankheiten. Zum Leistungsangebot gehört die Diagnostik, Therapie und falls erforderlich die Pflegeberatung für sämtliche neuromuskuläre Erkrankungen. Dazu gehören periphere Nervenkrankheiten (Neuropathien), Muskelerkrankungen (Myopathien) und Störungen der neuromuskulären Übertragung (Myasthenia gravis und Lambert-Eaton-Syndrom). Die klinische Neurophysiologie geniesst einen hohen Stellenwert. Zudem liegt ein besonderer Schwerpunkt im Muskelzentrum/ALS Clinic in der Betreuung von ALS-Erkrankten. Dabei steht eine patientenzentrierte, kontinuierliche Betreuung durch ein konstantes Kernteam im Mittelpunkt. Ziel ist es, die Lebensqualität der erkrankten Person zu erhalten.
Seltene neuromuskuläre Krankheiten stellen Betroffene in ihrem Alltag vor grosse Herausforderungen. Eine Schlüsselrolle bei der Betreuung spielt deshalb die Pflegeberatung. Bereits bei der Diagnosestellung ist eine spezialisierte Pflegefachfrau anwesend, die auf alle Fragen der Betroffenen eingehen und Unsicherheiten ausräumen kann. Die Pflegefachfrau wird ab dem Zeitpunkt der Diagnose zu einer fundamentalen Stütze und begleitet die erkrankte Person und deren Angehörige, manchmal bis ans Lebensende.
Seltene neuromuskuläre Krankheiten werden oft nicht sofort erkannt. Dank der vorhandenen Expertise kann am Kantonsspital St.Gallen nach kürzester Zeit eine Diagnose gestellt werden, um danach in fachübergreifender Zusammenarbeit schnellstmöglich eine individuelle Therapie zu starten. Laut Zentrumsleiter Prof. Dr. Markus Weber ist die Betreuung im Muskelzentrum einzigartig: «Wir stellen nicht einfach nur die Diagnose und lassen die Betroffenen damit alleine. Wir begleiten unsere Patientinnen und Patienten und natürlich deren Angehörige über den gesamten Krankheitsprozess.»
Die Patientinnen und Patienten kommen aus der ganzen Schweiz ins Muskelzentrum, manche sogar aus dem Ausland. Auch die Patientin N. M. nimmt den längeren Anreiseweg nach St.Gallen gerne auf sich:
«Als ich vor drei Jahren die ALS-Diagnose erhalten habe, suchte ich zwei verschiedene Zentren auf. Obwohl ich in Zürich lebe, entschied ich mich schnell für das KSSG. Nebst angenehmen und eher «unklinischen» Räumlichkeiten ist die Beratung sehr persönlich und äusserst kompetent. Der Arzt und die Pflege nehmen sich Zeit. Ich fühle mich dort als Individuum ernst genommen und nicht wie Patient Nr. XY.»
Aufgrund der Seltenheit und der Heterogenität der Krankheitsbilder ist interprofessionelle Zusammenarbeit bei der Erforschung, Diagnostik und Behandlung essenziell. In Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen, externen Kliniken und Instituten bietet das Muskelzentrum/ALS Clinic ein ideal auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zugeschnittenes Behandlungsspektrum an.
Forschung und Innovation nehmen am Kantonsspital St.Gallen eine zentrale Rolle ein, so auch im Muskelzentrum/ALS Clinic. In den vergangenen Jahren hat sich das Muskelzentrum sowohl national als auch international als eines der führenden Forschungszentren im Bereich neuromuskulärer Krankheiten etabliert. Im Fokus der Forschung steht die Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). So ist beispielsweise das Muskelzentrum/ALS Clinic eines von nur 20 Studienzentren weltweit, wo neue Medikamente bei einer erblichen Form von ALS erstmalig an Menschen getestet werden (Phase-1-Studie).
Als einziges nicht universitäres Spital der Schweiz verfügt das Kantonsspital St.Gallen über eine Clinical Trials Unit, die eine wichtige Unterstützung für die Forschungsaktivitäten im Bereich neuromuskulärer Erkrankungen ist. Die patientenbezogene klinische Forschung schafft einen Zugang zu innovativen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Eine dieser Untersuchungsmethoden, die hier am Kantonsspital St.Gallen entwickelt wurde, ist MUNIX, eine quantitative Methode zur Bestimmung der Nervenfaserzahl. Diese ist ein bedeutender Verlaufsparameter bei chronischen neuromuskulären Erkrankungen. Die Untersuchungsmethode konnte sich innerhalb kurzer Zeit auch international etablieren. Weltweit wurden bislang über 50 Zentren von PD Dr. Neuwirth und Prof Dr. Weber in dieser Methode geschult, die zwischenzeitlich als Verlaufsparameter in mehreren grossen internationalen Studien angewendet wird.
Einzeln betrachtet sind sie zwar selten – in der Summe jedoch kommen sie leider äusserst zahlreich vor. Weltweit wurden bisher rund 8’000 seltene Krankheiten beschrieben. Eine Krankheit wird als selten eingestuft, wenn von 10’000 Personen höchstens fünf davon betroffen sind. Weltweit dürften rund sieben Prozent der Menschen an einer seltenen Erkrankung leiden. In der Schweiz sind es schätzungsweise über eine halbe Million, also deutlich mehr als die Anzahl Diabetesbetroffener.
Jeden Tag kommen neue seltene Krankheiten dazu, die äusserst komplex sind und spezifische fachliche Kompetenz sowie eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordern. Bei vielen dieser Krankheiten gibt es bis heute keine Aussicht auf Heilung, da sie noch kaum erforscht wurden und die Ursachen noch nicht eindeutig geklärt sind. Gerade für solche Patientinnen und Patienten ist daher eine zentrale Anlaufstelle mit ausreichend Raum für medizinische und menschliche Aspekte essenziell.
Online:
www.kssg.ch/muskelzentrum
Schriftlich:
Muskelzentrum/ALS Clinic
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen
Telefonisch:
+41 71 494 35 81
muskel-als@kssg.ch
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag
08:00 bis 17:00 Uhr
Ansprechpersonen
Prof. Dr. Weber und PD Dr. Neuwirth
Prof. Dr. Markus Weber, Leiter Muskelzentrum/ALS Clinic, berichtet über die Vorteile, die Patientinnen und Patienten mit neuromuskulären Krankheiten in St.Gallen haben. Zusätzlich informiert er darüber, bei welchen Symptomen Zuweisende hellhörig werden und ihre Patientinnen und Patienten ans Muskelzentrum/ALS Clinic überweisen sollten.